Verhältnis zu Russland

Gregor Gysi

In der Linken existiert aus historischen Gründen eine über Jahrzehnte gewachsene Solidarität mit Russland. Die enormen Opfer und Leistungen der Sowjetunion im Kampf gegen Hitlerdeutschland nach dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Deutschlands spielen dabei die entscheidende Rolle. Russland gelang es, das alte Gegeneinander, das auf dem Feindbild von „dem Russen“ fußte, abzubauen. Dieses Verständnis für die Interessen, die Kultur und die Mentalitäten des jeweils anderen hält bis heute vor. Historisch ging diese Nähe oft mit einer Verteidigung der russischen Politik Hand in Hand. Aufgrund veränderter politischer Verhältnisse sollte heute zwischen beidem mehr denn je unterschieden werden. Eine reflexartige Verteidigung der gegenwärtigen russischen Politik wäre ebenso falsch wie das eskalierende und vorverurteilende Operieren der USA, Großbritanniens, Frankreichs, Deutschlands und anderer in der Russlandpolitik. Eine Linke sollte die Politik beider Seiten kritisieren. Sie unterscheidet sich von ihren politischen Wettbewerbern dadurch, dass sie nicht die eine Völkerrechtsverletzung zur Rechtfertigung oder Entschuldigung der anderen anführt.

Natürlich müssen wir Linke einerseits z. B. die westliche Politik in der Ukraine-Frage tadeln. Andererseits dürfen wir es nicht unterlassen, Putin beispielsweise für seinen homophoben, säbelrasselnden und undemokratischen Politikstil zu kritisieren.

In der Politik der deutschen Regierung und von Teilen der EU schlägt das Pendel deutlich nur in die eine Richtung aus. Dort weiß man oft schon ohne nähere Untersuchung, dass Russland die Schuld trifft; sei es beim Abschuss einer Passagier-Maschine, der Eskalation in der Ost-Ukraine oder dem Giftangriff auf einen Ex-Agenten.

Dies verurteilen wir ebenso wie die Nichtberücksichtigung früherer Vorschläge Putins für eine gemeinsame Wirtschafts- und Verteidigungspolitik in Europa. Übrigens hat ein Staat, der ­einen Spion verurteilt und dann freigelassen und ausgetauscht hat, diesen noch nie getötet. Täte er dies, schlösse er jede weitere Austauschverhandlung aus.

Aus dem Blättchen April 2018