"Wenn, dann muss de Ordnung richtig sein – und ditt isse nich!"

... lässt Carl Zuckmayer seinen Protagonisten im Dialog mit seinem Schwager sagen, als er von der Beerdigung der Untermieterin heimkehrt und mit seinem Schwager Friedrich seine Ausweisung aus Berlin und die Nichtbeförderung Friedrichs diskutiert. Bezirksvorsitzender Carsten Schatz zum 165. Geburtstag am 13. Februar von Wilhelm Voigt, dem Hauptmann von Köpenick.

Carsten Schatz, MdA, zum 165. Geburtstag von Wilhelm Voigt am 13. Februar 2014 

„Wenn, dann muss de Ordnung richtig sein – und ditt isse nich!“ lässt Carl Zuckmayer seinen Protagonisten im Dialog mit seinem Schwager sagen, als er von der Beerdigung der Untermieterin heimkehrt und mit seinem Schwager Friedrich seine Ausweisung aus Berlin und die Nichtbeförderung Friedrichs diskutiert.

Heute wäre Wilhelm Voigt, der Schuster aus Tilsit (heute Sowjetsk), 165 Jahre alt geworden. Er erlangte weltweite Berühmtheit, als er am 16. Oktober 1906 den Bürgermeister und den Hauptkassenrendanten von Köpenick verhaftete und die Stadtkasse raubte. 

Eigentlich, so erzählt Zuckmayer, wollte er nur einen Pass haben, um ein selbstbestimmtes Leben führen zu können, wo er das wollte. Andere Autoren haben recherchiert, dass er sich lange auf den Raub in Köpenick vorbereitete, weil damals eine Summe von 2 Mio Reichsmark in der Stadtkasse der Stadt Köpenick vermutet wurde. Voigt hätte wissen müssen, dass Auslandspässe nur auf dem Landratsamt in Teltow ausgestellt würden.

Die Köpenickiade hat die damalige Kleinstadt Köpenick in der ganzen Welt berühmt gemacht. Die Welt lachte über einen krummbeinigen, älteren Herren, der es – allein in einer Hauptmannsuniform – fertig brachte, Soldaten unter sein Kommando zu stellen, mit ihnen in ein Rathaus einzudringen, ohne jede Gegenwehr, gewählte Amtsträger zu verhaften und die Stadtkasse zu beschlagnahmen.

Die Berliner Volks-Zeitung schrieb am 17. Oktober 1906:
„So unsagbar komisch, so unbeschreiblich lächerlich diese Geschichte ist,eine so beschämend ernste Seite hat sie. Das Köpenicker Gaunerstückchen stellt sich dar als der glänzendste Sieg, den jemals der militaristische Gedanke in seiner äußersten Zuspitzung davongetragen hat. Das gestrige Intermezzo lehrt klipp und klar: Umkleide dich in Preußen-Deutschland mit einer Uniform, und du bist allmächtig. […] In der Tat: Der Held von Köpenick, er hat den Zeitgeist richtig erfasst. Er steht auf der Höhe intelligentester Würdigung moderner Machtfaktoren. Der Mann ist ein Realpolitiker allerersten Ranges. […] Der Sieg des militärischen Kadavergehorsams über die gesunde Vernunft, über die Staatsordnung, über die Persönlichkeit des einzelnen, das ist es, was sich gestern in der Köpenicker Komödie in grotesk-entsetzlicher Art offenbart hat.“

Karl Liebknecht sagte in einer Rede vor dem Mannheimer Jugendkongress im Oktober 1906: „Wie uns angeblich noch keiner – um mit Bismarck zu reden – den preußischen Leutnant nachgemacht hat, so hat uns in der Tat noch keiner den preußisch-deutschen Militarismus ganz nachzumachen vermocht, der da nicht nur Staat im Staate, sondern geradezu ein Staat über dem Staat geworden ist […]“

Acht Jahre vor dem Ausbruch des ersten Weltkrieges offenbarte das Gaunerstück des Wilhelm Voigt den militaristischen Charakter des preußisch-deutschen Reiches.  Doch weder 1906, noch 1908, bei seiner vorzeitigen Haftentlassung, nicht in den Tagen der Zabern-Affäre um die Jahres-Wende 1913/14 wurde dieses Phänomen in der deutschen Öffentlichkeit ausgiebig diskutiert und Schlussfolgerungen gezogen. Allein eine kleine Gruppe in der deutschen Sozialdemokratie kämpfte gegen den militaristischen Charakter Preußen-Deutschlands. In Zabern, einer Stadt in Elsaß-Lothringen, setzte sich das preußische Militär über die dortige  Zivilverwaltung hinweg. 

Rosa Luxemburg schrieb am 6. Januar 1914,  sieben Monate vor Beginn des Massenschlachtens in Europa: „Und ist nicht das Morden und das Verstümmeln im Kriege der eigentliche Beruf und die wahre Natur jener ‚Militärbehörden‘, deren gekränkte Autorität in Zabern die Zähne gezeigt hat?“

100 Jahre nach der Entfesselung des ersten Weltkrieges müssen wir uns auch an alles Erinnern, was im Vorfeld des großen Krieges an Zeichen zu sehen war. Dazu gehört auch das Gaunerstück des heutigen Jubilars.

Voigt verstarb übrigens 1922 verarmt in Luxemburg, wohin er 1910 als Passbesitzer umgezogen war. Sein Grab befindet sich noch heute dort und wurde auf Initiative aus dem EU-Parlament mit einem neuen Grabstein versehen und gepflegt.