Mißtrauen zum Bezirksamt bleibt abenteuerlich, verantwortungslos und widersinnig

Rede des Fraktionsvorsitzenden der Linksfraktion in der BVV am 19.11.2009 zur Debatte des Bezirkshaushaltsplans 2010/2011

Rede des Fraktionsvorsitzenden der Linksfraktion in der BVV am 19.11.2009 zur Debatte des Bezirkshaushaltsplans 2010/2011

 

Herr Vorsteher, meine Damen und Herren!

In vielerlei Hinsicht, könnte ich heute die gleiche Rede halten wie zum Haushalt 2007. Die Bezirke sind weiterhin unterausgestattet und es findet auch alle zwei Jahre das gleiche Ritual statt: erst einmal unternimmt die Senatsverwaltung für Finanzen eine größtmögliche Provokation, die dann in Nachverhandlungen, in diesem Jahr unterstützt von einem Beschluss des Abgeordnetenhauses, deutlich, aber nicht hinreichend abgemildert wird. Es mag ja sein und ich gehe natürlich davon aus, dass es so war, dass die Bezirksbürgermeisterin auch außerhalb dieser BVV aus taktischen Gründen hinter den Kulissen wie eine Löwin für eine Besserausstattung des Bezirks gekämpft hat, aber es ist auch die Aufgabe von Politik Diskussionen öffentlich zu führen und Positionen öffentlich zu vertreten.

Es bleibt zu kritisieren, was auch in den Vorjahren nicht richtig war. Normierungen und Mindestveranschlagungen, sind systemwidrig und widersprechen dem Prinzip der Kostenleistungsrechung und dem der Globalsumme. Früher haben wir das mal gemeinsam und parteiübergreifend kritisiert, heute geben sich Teile Hauses als Fanclub der Senatsverwaltung für Finanzen und bedienen deren Perspektive, dass die Bezirke im Wohlstand schwelgen, mit den zugewiesenen Mitteln nicht effizient umgehen und möglicherweise ohnehin überflüssig sind.


Meine Fraktion hat die Position vertreten, dass wir diese Unterausstattung der Bezirke auch im Haushaltsplan nach außen sichtbar machen sollten, indem wir eine Pauschale Minderausgabe in der gesetzlich zulässigen Höhe von einem Prozent voll einstellen und haben daher den Entwurf des Bezirksamtes in dieser Hinsicht begrüßt.

Leider hat insbesondere die SPD-Fraktion darauf gedrungen, die PMA abzuschmelzen. Begründet wurde dies mit der staatstragenden Argumentikon, ein Abtragen der PMA im Laufe der Haushaltsdurchführung würde das Budgetrecht der BVV unterlaufen. Offen gesagt, ich habe da wohl größeres Vertrauen zum Bezirksamt und wäre nicht auf die Idee gekommen, dass dieses Instrument missbraucht werden würde, um Gemeinheiten hinter dem Rücken der BVV zu beschließen. Aber da sieht man mal, dass man sich auch selbst genug sein kann: die SPD gibt ihre eigene Opposition.


Die insofern auch kritisch zu bewertende Nachschiebeliste hat sich im Nachhinein zum eigenen Haushaltsrisiko entwickelt. Ich habe kein Verständnis dafür, weshalb sie nicht am Tage der Beschlussfassung im Bezirksamt in den Geschäftsgang gegeben, allen Bezirksverordneten und Bürgerdeputierten wenigstens per E-Mail zugestellt worden ist und so eine Beschlussfassung des Haushalts in der Oktobersitzung ermöglicht worden wäre. Deshalb haben wir diese Sitzung hier um eine Woche vorziehen müssen, um eine rechtzeitige Abgabe eines beschlossenen Haushaltsplans zu erreichen. Da war natürlich noch nicht klar, dass hier Änderungsanträge gestellt würden, die sicher geglaubte Mehrheiten in Frage stellen und wir uns den Aufwand auch hätten sparen können, da ja möglicherweise gar kein Interesse besteht, eine vorläufige Haushaltswirtschaft abzuwenden.


Das muss man hier auch mal so deutlich sagen, der Antrag, die Titel der Hauptgruppen 5 und 6 auf dem Ist 2008 zu sperren und Mehrausgaben nur nach Genehmigung des Haushaltsausschusses freizugeben ist: abenteuerlich, verantwortungslos und widersinnig. Das kann man als Opposition, wenn man davon ausgehen darf, dass die eigenen Anträge ohnehin nicht beschlossen werden ja mal machen, aus Spaß sozusagen.

Für eine Partei, die die Bezirksbürgermeisterin stellt und die im Land mitregiert, verbietet es sich.


Es ist widersinnig, weil hier zum Beispiel im Gesundheitsbereich genau die Titel betroffen sind, aus denen Konferenzen und Öffentlichkeitsarbeit bezahlt werden, also Titel, die benötigt werden, um hochwichtige Anträge der SPD-Fraktion zu HIV- und Suchtprävention, zu verwirklichen. Konsequent wäre es gewesen, in den Antrag gleich reinzuschreiben, dass die entsprechenden Beschlüsse der BVV aufzuheben sind.

Denn: Die dafür zuständige Qualitätssicherungs-, Planungs- und Koordinierungsstelle bei der Bezirksstadträtin wollen sie ja abschaffen. Deren Aufgaben wurden bislang in einem Sammeltitel 54079 in Kapitel 3330 nachgewiesen, der im Haushalt 10/11 mit 1000 Euro faktisch aufgelöst ist. Die Aufgaben werden aus neueingerichteten Titeln bezahlt. Das Ist 2008 dieser neueingerichteten Titel beträgt mithin Null Euro, jedes Blatt Papier, jeder Fahrschein, jeder Flyer, jede Einzelheit des Dienstbetriebes müsste also vom Haushaltsausschuss genehmigt werden. Das kann nicht Ihr Ernst sein. HIV - und Suchtprävention und andere Dinge mehr werden damit nicht stattfinden.


Die Art und Weise, wie und vielmehr wann Sie den Antrag eingebracht haben ist abenteuerlich – nämlich zu einem Zeitpunkt als die Beratungen in den Fachausschüssen bereits abgeschlossen waren, so dass die Bezirksamtsmitglieder nicht befragt werden konnten, welche Auswirkungen diese Sperren für ihre Bereiche haben würden.


Abenteuerlich finde ich auch, dass sie weitestgehend darauf verzichtet haben, diesen Antrag zu begründen. Die spärliche schriftliche Begründung lässt sich an Unverbindlichkeit und Allgemeinheit kaum unterbieten und im Haushaltsausschuss haben Sie gar nichts gesagt.


Aber der Antrag ist doch vor allem eines: er ist völlig verantwortungslos. Mit diesem Antrag bringen Sie Sperren in der Hauptgruppe 6 an, dazu zählen die Sozialleistungen wie die Ausgaben für Hilfen zur Erziehung. Ich weiß ja nicht, wo sich die Autoren dieses Antrags in den letzten Monaten herumgetrieben haben, in Berlin offenbar nicht. Alle Diskussionen, die mir erinnerlich sind, ob im Jugendhilfeausschuss oder mit Landespolitikerinnen und Landespolitikern, waren darauf gerichtet, dass eine auskömmliche Finanzierung dieses Bereiches absolut unumgänglich ist, da die Ansprüche zu erfüllen sind und die Nichterfüllung das Risiko dramatischer Kinderschutzfälle in sich birgt, die in anderen Bundesländern aufgetreten sind und uns alle berührt haben. Die Bezirke haben um höhere Zuweisungen in diesem Bereich gekämpft und zwar erfolgreich.

Ich bin mir nicht schlüssig, ob ein solches Vorgehen rechtlich überhaupt zulässig ist. Denn eine unabweisbare Hilfe wird den Betroffenen mit Sicherheit auch dann gewährt, wenn es sich SPD und FDP vorbehalten, darüber zunächst im Haushaltsausschuss zu plaudern, dem die FDP ja nicht einmal angehört. Aber es ein Schlag in die Kniekehlen für die Politikerinnen und Politiker, und damit auch für Herrn Retzlaff, die diese Erhöhung der Zuweisungen durchgesetzt. Es ist politisch ein verheerendes Signal, wenn wir dem Bezirksamt misstrauen, die mühsam erstrittenen HzE-Mittel effizient einzusetzen. Auch hier opponiert die SPD gegen sich selbst und bedient nebenbei auch noch alle Vorbehalte gegen die Bezirksverwaltungen.



Herr Vorsteher, meine Damen und Herren,

weshalb sich die CDU nach der Sitzung des Haushaltsausschusses unzufrieden gezeigt hat, hat sich mir nicht erschließen können – sie hat sich mit einigen Anträgen durchgesetzt: die Besserausstattung der Bereiche Stadtplanung und Sport und zusätzliche Gelder für die Beratung von Bürgerinnen und Bürgern in Lärmschutzfragen im Zusammenhang mit dem Flughafen, das hat meine Fraktion auch unterstützt. Und die SPD-Anträge, die sich gegen die Maßnahmen von Bezirksstadtrat Simdorn richteten, wurden, bis auf den, dem Herr Schild zugestimmt hat, abgelehnt. Das war doch eine erfolgreiche Sitzung aus CDU-Perspektive.

Und ich möchte das an der Stelle auch noch mal zu Herrn Simdorn sagen: Ich habe ihn vor zwei Jahren kritisiert, weil ich keine Idee gesehen habe, wie er mit den dramatischen Ergebnissen der Kostenleistungsrechnung insbesondere im Bibliotheksbereich umzugehen gedenkt. Ich finde das, was er hier vorgelegt hat sehr viel ehrlicher und begrüße das deshalb. Wir müssen neue Ideen entwickeln, wie Bibliothek in der Fläche künftig präsent sein kann. Da stehen uns schmerzhafte Einschnitte bevor. Meine Fraktion wird diesen Prozess konstruktiv begleiten.


Linke und SPD haben ja beide Landesparteitagsbeschlüsse herbeigeführt, die eine auskömmliche Finanzierung starker Bezirke in Aussicht stellten, davon ist nicht so sehr viel übrig geblieben, wenn wir uns hier aber selber durch solche Änderungsanträge in Frage stellen, ist es auch nicht so verwunderlich, dass das nicht klappt.


Meine Fraktion hält den Haushalt in der Fassung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Haushalt, Personal und Verwaltungsreform im großen und ganzen, mit Bauchschmerzen, aber insgesamt für zustimmungsfähig.

 

Philipp Wohlfeil

Vorsitzender der Linksfraktion