Katastrophale Zustände bei Aufnahme für Schutzsuchende aus der Ukraine – Betreiber überfordert, Ehrenamtliche müssen helfen

Fraktion in der BVV
Treptow-Köpenick

Die Aufnahme von Schutzsuchenden aus der Ukraine in Köpenick wird zum Kraftakt für Ehrenamtliche – Ein Erfahrungsbericht von Anja B.

Von Anfang an dabei

Ich fühle mich mit dem Containerdorf in der Alfred – Randt – Straße 19, in Köpenick, seit seinem Bau im Herbst 2014 sehr verbunden. Mit vielen anderen Menschen habe ich mich monatelang den rassistisch motivierten Demonstrationen und sogenannten Mahnwachen, mit denen Anwohner:innen den geplanten Einzug von geflüchteten Menschen im Dezember 2014 verhindern wollten, entgegengestellt. Ich habe miterlebt, wie engagierte Ehrenamtliche den Verein „Allende 2 hilft“ gründeten und gemeinsam mit dem Betreiber, dem Internationalen Bund bzw. mit dem Leiter der Gemeinschaftsunterkunft, P.H., ein nachbarschaftliches Miteinander förderten. Ich habe mit Kindern aus der Unterkunft Gemüse geschnippelt, gequatscht, gelacht, ihre Gesichter geschminkt, bis ich dann selbst in einer anderen Unterkunft für Geflüchtete hauptamtlich tätig wurde und diese etwas später leitete. Nicht mehr vor Ort, aber weiterhin mit den hauptamtlichen und ehrenamtlichen Helfer:innen vernetzt, und auch nach dem Betreiberwechsel im April 2021, war und bin ich eine Unterstützerin der Gemeinschaftsunterkunft im Allende 2, vielmehr, der Menschen, die dort Schutz suchen.

Neue Geflüchtete kommen an, Helfer:innen gesucht

Als ich am 11. März auf Facebook in der Gruppe „Treptow - Köpenick hilft“ lese, dass am 12. und am 13. März, nach dem Auszug der bisher dort lebenden Geflüchteten, nun Menschen aus der Ukraine in die Containeranlage einziehen würden und dringend Helfer:innen gesucht werden, die bei deren Empfang und Begleitung unterstützen, überlege ich nicht lange. Ich habe Zeit, ich habe Erfahrungen, ich will helfen.

Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß, ist die Tatsache, dass die Schutzsuchenden ohne den Einsatz der ehrenamtlichen Helfer:innen, nur sehr unzureichend versorgt worden wären, da der Betreiber, das DRK Müggelspree Nothilfe gGmbH, in Gänze nicht vorbereitet und zudem überfordert war.

Am Samstag treffe ich um 9:00 Uhr gemeinsam mit meinem Sohn in der Unterkunft ein. Da viele Kinder unter den Schutzsuchenden zu erwarten sind, habe ich Seifenblasen, aufblasbare Einmalhandschuhe, Malhefte, Bilderbücher und Schminkstifte im Gepäck. Andere Ehrenamtliche sind schon dort, weitere treffen nach und nach ein. Man kennt sich. Entweder persönlich oder durch Vernetzung. Es sind die, die immer helfen. Dirk W. von Allende 2 hilft ist vor Ort und unterstützt die Ehrenamtskoordinatorin der Unterkunft. Wir erhalten zunächst Informationen zum Ablauf. Wenn die Busse ankommen, werden die Geflüchteten an der Bushaltestelle von einem Teil der Helfer:innen in Empfang genommen, andere stehen in Abständen auf dem Weg, um den ankommenden Menschen die Richtung zu weisen. Da die Schutzsuchenden vor der Unterkunft warten müssen, bis sie einzeln in den Durchgang im ersten Gebäude eintreten können, wo sie ihre Zimmernummer erhalten, sollen draußen die Ehrenamtlichen acht geben, dass die Alfred – Randt- Straße für den Verkehr frei bleibt. Mit ihrer Zimmernummer treten die Menschen dann vom Durchgang in den Hof, werden dort von einer oder einem Ehrenamtlichen in Empfang genommen und zu ihren Zimmern geführt, wo sie ihr Gepäck ablegen können. Danach müssen sich die Geflüchteten zur Registrierung begeben.

Erschreckende Zustände, Gestank und keine Versorgung

Nach dieser Einführung laufen wir die Route gemeinsam ab. Wir werden über den Hof in das zweite Gebäude geführt. Beim Eintritt stelle ich erschrocken fest, dass es stark nach Urin und sehr muffig riecht. Wir laufen den langen Gang bis zum hinteren Ausgang entlang. Die Wände und Türen sind schmutzig und beschmiert. Mein Sohn flüstert mir ungläubig ins Ohr, dass die Zimmer verdreckt seien. Wieder über den Hof betreten wir das erste Gebäude, man zeigt uns einen Tisch auf dem zwei Kaffeemaschinen stehen, die wir nutzen können. Auf einem anderen Tisch stehen für die Ehrenamtlichen Wasser, Kekse und frischer Kaffee bereit. Auf die Frage, wo denn die Getränke und Snacks für die Geflüchteten seien, folgt schweigen. Unmut macht sich unter den Ehrenamtlichen breit. Will die Leitung dieser Unterkunft tatsächlich Kriegsflüchtlinge ohne eine Erstversorgung mit Getränken und Snacks empfangen? Ja, offensichtlich. Einige Ehrenamtliche, auch mein Sohn, machen sich auf den Weg um das Nötige einzukaufen. Sie zahlen Wasser, Säfte, Kaffee, Tee, Milch, Kekse u.ä. Aus ihrer eigenen Tasche.

Wir Ehrenamtlichen haben uns inzwischen abgesprochen, wir wollen die Wartezeit bis die Busse eintreffen, noch gibt es dazu keine Information, sinnvoll nutzen. Einige bauen einen Tisch mit den Getränken und Snacks für die Ankommenden auf, ich errichte eine kleine Kinderecke mit Mal – und Bastelmaterialien. Unterstützt werde ich dabei von einem sehr freundlichen Mitarbeiter, der früher selbst hier ein Bewohner war. Er sucht sehr lange, sehr motiviert und bringt mir schließlich eine große Kiste mit Malzeug. Es ist jetzt 11:00 Uhr, immer noch keine Nachricht, wann die Schutzsuchenden eintreffen. Ich stehe in der Kinderecke und fasse gedanklich die momentanen Zustände hier zusammen, es wird das letzte Mal am heutigen Tag sein, dass ich dafür Zeit finde: im Eingangsbereich im Hof stapeln sich am und um den Müllplatz unzählige Müllsäcke, Möbelstücke, Elektrogeräte, Spielzeug, vermeintliche Hinterlassenschaften der ehemaligen Bewohner:innen, dazu später mehr. Es sind nur wenige Übersetzer:innen vor Ort, die allerdings nicht als solche zu erkennen sind, im Laufe des chaotischen Tages müssen die Ehrenamtlichen ständig nach diesen wichtigen Helfer:innen suchen, um die hilfesuchenden Menschen aus der Ukraine unterstützen zu können. Es gibt keine Informationstafeln oder wenigstens Zettel, die den Ankommenden und auch den Ehrenamtlichen, mehrsprachig Wege aufzeigen oder Orientierung geben könnten. Auch die Mitarbeiter:innen sind als solche nicht zu erkennen. Einzig eine Person in leitender Position trägt eine rote DRK – Weste. Ich sehe sie meist irgendwo herumstehen, rauchend, sich unterhaltend. Die verdreckten Zimmer bereiten mir große Sorge. Was werden die Kriegsflüchtlinge bei deren Anblick wohl empfinden? Die Leitung nehme ich als überfordert und als wenig motiviert wahr. Auf den Aufbau der Kinderecke und meinen Hinweis, dass ich aus der Bude einige Bobbycars für die Kleinen abholen kann, reagiert sie eher desinteressiert bis genervt. Vielleicht hegt sie die Vorstellung, dass die vielen Kinder sich nach dem Ankommen in Luft auflösen.

Die Geflüchteten kommen an, die Versorgung wird immer schlimmer

Gegen 12:00 Uhr kommt der erste Bus mit 90 Geflüchteten an, sie haben die Nacht im Kreuzberger Saal verbracht. Sie werden entsprechend des am Morgen verkündeten Plans in Empfang genommen, auf ihre Zimmer geleitet und müssen dann zur Registrierung, die durchschnittlich – ohne die Wartezeit – 20 bis 30 Minuten dauert. Die Menschen erhalten keine Schlüssel für ihre Zimmer und müssen ihr Hab und Gut ungeschützt dort zurücklassen. Nach der Registrierung bekommen sie aus der Wäschekammer Kopfkissen, Bettdecken und Bettwäsche. Später werde ich Zeugin eines Gesprächs zwischen Ehrenamtlichen, es sei die Anweisung durch die Heimleitung erfolgt, dass die Schutzsuchenden keine Handtücher erhalten. Weiter werden später Geflüchtete um Austausch ihrer Bettdecken bitten, weil sie verschmutzt seien. Dies wird abgelehnt, alle Kopfkissen und Decken seien frisch gewaschen. Ich überlege, ob ich mich in eine Decke kuscheln würde, die Flecken hat? Nein, eigentlich nicht. Aber ja, wenn ich nichts anderes hätte – und ich würde mich klein und ziemlich gedemütigt fühlen, eine Bittstellerin, die nehmen muss, was ihr gereicht wird.

Gegen 13:00 Uhr kommen die Menschen aus der Ukraine, es sind tatsächlich sehr viele Frauen und Kinder, nach und nach in den Hof. Ungünstigerweise treffen nun die für die Ehrenamtlichen gespendeten Pizzen und Salate ein – ein großes Danke an die Bürgerstiftung Treptow – Köpenick – die der Lieferant auf einem Tisch neben der Kinderecke abstellt. Wir Ehrenamtlichen bedienen uns. Als ich allerdings erfahre, dass die Schutzsuchenden nach Essen fragen und es heißt, dass der Caterer erst um 17:30 Uhr eine Mahlzeit ausgeben will, vergeht mir der Appetit und ich eile zur Koordination. Ich weise darauf hin, dass die Menschen Hunger haben, dass sie nach Babynahrung fragen und schnellstmöglich versorgt werden sollten. Sie zuckt mit den Schultern, wie so oft an diesem Tag, und erklärt, der Caterer wolle um 17:30 Uhr das Essen ausgeben. Ich weise weiter daraufhin, dass, wenn Menschen Hunger haben, verzweifelt und ohne Information sind, könne die Stimmung schnell und gefährlich kippen. Ich beende das Gespräch, da wir uns im Kreise drehen, ich mag es weniger problemorientiert, sondern lösungsorientiert. Ich spreche mit anderen Ehrenamtlichen und nach Sichtung der „Mahlzeit“, die am Abend an die Bewohner:innen ausgegeben werden soll, ist uns allen klar, dass wir nun die Versorgung der Mensch übernehmen müssen und fortan situationsbedingt und selbstständig handeln werden. Bei der „Mahlzeit“, die einzige, die an diesem Tag gereicht werden soll, handelt es sich um Tüten mit einem kleinen Apfel, einem kleinen Joghurt (75g), einem Brötchen und je einer Scheibe Käse und Wurst.

Kein Essen, keine Handtücher - es fehlt am Nötigsten

Wie ich befürchtete, kippt nun die Stimmung. Menschen, die unsere Sprache nicht sprechen, die sich in der Fremde befinden und angewiesen auf Fremde sind, stehen müde, ratlos, resigniert, alleine oder in Gruppen, vor allem aber hungrig im Hof. Einige stehen am Tisch mit den Resten der Pizzen und bitten um diese. Auf der anderen Seite, Ehrenamtliche, von den viele kein russisch, kein ukrainisch sprechen, die helfen wollen, aber aufgrund der fehlenden Unterstützung durch den Betreiber handlungsunfähig sind. Noch. Ich weiß, ich bin Teil eines großen, kompetenten, bunten und hilfsbereiten Netzwerks, ich entscheide, öffentlich um Hilfe zu bitten und schicke einen Beitrag via Facebook hinaus, in dem ich die Situation und die Bedarfe aller Helfenden und Hilfsbedürftigen schildere. Es ist nun ungefähr 14:00 Uhr, gerade treffen weiter ca. 100 Menschen vom Hauptbahnhof ein. Ich schicke mehr Beiträge via Facebook hinaus und bitte um Lebensmittel, Snacks, Fingerfood, später um Handtücher, wieder später um Hygieneartikel. Und natürlich reagieren die Menschen aus dem Netzwerk. Allende 2 hilft besorgt Suppenbüchsen und vieles mehr. Ich sammle mir mit einer Koordinatorin Töpfe, Kellen, Rührlöffel zusammen und richte mir in einer Küche, in der zwei von vier Herden funktionstüchtig sind, eine Suppenküche ein. Nächstes Problem, es gibt keinen Büchsenöffner, Dirk W. erweist sich wieder einmal als schneller Helfer und bringt von irgendwo einen her. Ich befülle die Töpfe mit Kartoffel -, Linsen -, Tomaten – und Erbsensuppe, erfahre, dass es zu wenig Löffel und keine Schüsseln oder Teller gibt. Nächster Hilferuf via Facebook, Menschen bringen nun Einwegschüsseln – und die Koordinatorin steht plötzlich neben mir und zählt „ihre“ Töpfe, Kellen und Rührlöffel. Nun gut, jeder setzt eigene Prioritäten.

Während die Suppen erwärmen erhalte ich Anrufe von besorgten Genossinnen, die helfen wollen, dafür Sorge tragen wollen, dass Senat und LAF über die aktuellen schwierigen Umstände informiert werden und den Betreiber anhalten, den vertraglich festgelegten Qualitäts – und Leistungsstandards nachzukommen. Ich berichte telefonisch Carolin Weingart (DIE LINKE), Stadträtin für Soziales, Arbeit und Teilhabe, sie wird am nächsten Tag vor Ort mit anpacken und sich persönlich ein Bild von den Umständen machen. Während ich im Hof telefoniere, blicke ich plötzlich in eine große Kamera – ein Fernsehteam befindet sich in der Unterkunft im Zimmer einer Familie, begleitet von der Leitung, und filmt die Menschen. Ich bin fassungslos, habe aber jetzt keine Zeit, diese Verletzung der Privatsphäre zu hinterfragen, später. Ich eile zurück zu den Suppen, spreche mit einem sehr hilfsbereiten und motivierten Übersetzer die „Essensausgabe“ ab. Da vorne rein, Suppe wählen, da hinten raus. Die verschwundene Koordinatorin ist plötzlich wieder da, sie hätten mal Pause gemacht, ob ich noch etwas bräuchte. Wir sind nun drei Ehrenamtliche und der Übersetzer in der Küche und versorgen die Hungrigen mit Suppen und Brot. Sie wird nicht annähernd für alle reichen, aber inzwischen wissen wir, dass drüben das tolle Team der Bude, dem Mehrgenerationsgarten, hausgemachte Erbsensuppe in Mengen kocht. Zwischendurch treffen am Tor weitere Unterstützer:innen ein, die Handtücher und Hygieneartikel und vieles mehr vorbei bringen, nebenbei freue ich mich, Menschen aus meinem Netzwerk heute persönlich, also von Angesicht zu Angesicht kennenzulernen. Als die Suppentöpfe leer sind, begleiten wir jene, die noch nichts zu Essen erhalten haben in den Hof, wo andere Ehrenamtliche versuchen, die Menschen über die wartende Suppe in der Bude zu informieren. Die Sprachbarriere scheint heute allzu oft unüberwindbar, dabei gäbe es so vieles zu sagen, zu fragen, mitzuteilen. Der Googleübersetzer hilft. Wir laufen über den Hof, durch all das Gewusel und rufen laut „cyn“ - ausgesprochen „suup“. Unsere Kraft schwindet, die Ehrenamtlichen schwinden. Es ist inzwischen dunkel und sehr kalt. Eine Ehrenamtliche erzählt mir von einer Frau, die traurig erzählte, sie habe sich seit sieben Tagen nicht mehr richtig gewaschen. Wir benötigen immer noch dringend Seife, so dass die Menschen sich endlich reinigen können. Ich stelle mir vor, ich käme nach einer langen Zeit auf der Flucht in der Fremde an. Verschwitzt, schmutzig, stinkend, klebend, ich würde mich nach einer Dusche mit Seife sehnen. Wie würde ich mich fühlen, ohne Seife, ohne Handtuch, angewiesen auf Fremde? Ich schicke einen letzten Hilferuf für heute via Facebook hinaus, die Kriegsflüchtlinge brauchen dringend Shampoos, Seife, Duschgel. Einige Minuten später ruft mich meine Chefin an, Geschäftsleitung der GEFA gGmbH, die unter anderem das RumBa Familienzentrum betreibt. Sie wird in einer Stunde hier sein und eine große Ladung Babyshampoos, Babyschaumbad und Babyseife aus dem Familienzentrum anliefern. Wir sind erleichtert. Heute Abend können sich die Menschen waschen, später werden sie schmunzeln, weil die Babyartikel alle nach Mandarine duften. Im Gepäck meiner Chefin befinden sich nicht nur Shampoos, sondern auch ein Helfer, der gerade in Johannisthal bei der Aufnahme von Geflüchteten unterstützt. Er sagt zu, am nächsten Tag überschüssige Spenden von dort zu uns zu bringen - Danke dafür!

Situation nur durch außergewöhnliches Engagement der ehrenamtlichen Helfer:innen entschärft

Es ist nun 20:30 Uhr. Die Geflüchteten sind erst einmal notversorgt. Ich bin, wie viele andere Ehrenamtliche, am Ende meiner Kräfte. Wir alle haben funktioniert, wir haben Bedarfe wahrgenommen, entsprechen reagiert und gehandelt. Alle? Nun, eigentlich nur die Ehrenamtlichen und die beiden ehemaligen Bewohner, die nun beim DRK Müggelspree Nothilfe gGbmH angestellt sind. Vieles geht mir durch den Kopf.

Mir ist durchaus bewusst, dass der Betreiber aufgrund der kurzfristigen Information betreffend den Auszug der einen Bewohner:innen und dem Einzug der neuen Bewohner:innen, Prioritäten setzen und improvisieren musste. Aber nicht einmal das hat er zu Wege gebracht. Ein Grund dafür wird wohl die Tatsache sein, dass der Betreiber mit der Übernahme der Unterkunft, das vom Internationalen Bund und Allende 2 hilft geschaffene und allzeit gepflegte Netzwerk aus Ehrenamtlichen, Vereinen und Initiativen, nicht übernommen hat, nicht übernehmen wollte, sondern vielmehr „vor die Tür gesetzt hat“. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass es durchaus möglich ist, auch sehr kurzfristig gut zu organisieren, zu informieren und zu handeln. Als ich im Dezember 2016 als Leiterin einer Notunterkunft für Geflüchtete im Wedding, am Nachmittag über den morgigen Leerzug der Turnhalle erfuhr, konnten wir, Dank eines kompetenten Teams, eines großen und breiten Unterstützer- Netzwerks und einem vertrauensvollem Verhältnis zwischen den Bewohner:innen, den und unserem Team, den Auszug schnell und für alle einigermaßen ruhig vollziehen. Noch am Nachmittag kamen alle verfügbaren Dolmetscher:innen, Mitarbeiter:innen, Ehrenamtliche und Kollegen aus der Geschäftsleitung des Betreibers. Ich stand in der Halle auf einem Tisch, neben mir und in Abständen zwischen den versammelten Bewohner:innen, die Übersetzer:innen und ich konnte die Menschen über den Auszug, den Ablauf informieren, Fragen beantworten und so Ängste und Sorgen nehmen. Menschen teilhaben zulassen, ist auch eine Art von Wertschätzung.

Hilfe bis zur Erschöpfung

Bei der Ankunft der Kriegsflüchtlinge in der Unterkunft in der Alfred – Randt – Straße, war weder Wertschätzung noch ein Willkommen zu spüren. Die Menschen erhielten seitens der Leitung, und es wäre ihre Aufgabe gewesen, keine Informationen, keinen Ausblick, wie sich das Ankommen, der Tag, die nahe Zukunft gestalten wird, ja nicht einmal einige warme Worte zum Empfang. Ehrenamtliche hätten dies mit ihr vorbereiten können. Sie hätte das Angebot wohl ausgeschlagen. So wie sie, vor dem Einzug der Kriegsflüchtlinge, das Angebot der Bude, sie würden am 12. März die Ankömmlinge mit Essen versorgen, abgelehnt hat. Nun gut, das Team der Bude durfte bzw. musste ja dann doch kochen und brutzeln, damit niemand hungrig blieb. Die Leitung hätte auch Sorge dafür tragen müssen, dass Ehrenamtliche nicht über ihre körperlichen und seelischen Grenzen hinweg agieren müssen, sie hätte wahrnehmen müssen, dass zum Beispiel eine 14 – Jährige stundenlang ohne Pause den „Versorgungstisch“ für die Geflüchteten betreute und diese fast alleine versorgte, bis sie mich schüchtern nach einer Ablösung fragte, als ich zufällig auf meinem Weg in die Suppenküche an ihr vorbei eilte.

Der Tag muss nun für mich enden, ich kann inzwischen kaum noch klar denken und nicht mehr aufhören zu zittern. Ich werde freundlicherweise von meiner Chefin nach Hause gefahren, ich kann dort jederzeit meinen Durst stillen, meinen Bedürfnissen nachkommen und ich denke an die Bewohner:innen... sind sie auch in der kommenden Nacht mit Getränken versorgt? Ich hoffe, die „Versorgungsstation“ wird über Nacht nicht abgeräumt. Zu Hause angekommen mache ich mich mechanisch bettfertig, alles schmerzt. Bevor ich einschlafe sehe ich noch einmal die Bilder, die ich tagsüber versucht habe zu verdrängen. Menschen, die aus den Bussen steigen und müde, traurig, ängstlich, apathisch, aber auch misstrauisch, zornig und abweisend wirken. Frauen, die ihre erschöpften Kinder tragen und sich dabei selbst kaum noch aufrecht halten können. Bevor die Tränen laufen, schlafe ich ein.

Hilfe trifft ein, Ehrenamtliche übernehmen die Arbeit der Leitung und des Betreibers

Am 13. März bin ich gegen 11.00 Uhr vor Ort, mein erster Anblick ist Stefanie Fuchs (DIE LINKE), MdA, und Mitglied von Allende 2 hilft. Ich bin erleichtert, weil ich weiß, dass sie einen guten Draht ins LAF (Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten) hat, das sozusagen Vorgesetzter des Betreibers ist. Sie versucht bereits den Präsidenten des LAF ans Telefon zu bekommen, bisher aber vergeblich. Am Abend wird sie ihm auf Grundlage der Berichte von uns Ehrenamtlichen, einen Brief schreiben. Der Tag beginnt positiv. Viele Helfer:innen sind vor Ort. Die Ehrenamtskoordinatorin hat heute frei. Dirk W. von Allende 2 hilft bittet zwei Ehrenamtliche und mich, die heutige Koordination der Abläufe und der Helfer:innen zu übernehmen, die Leitung hätte zugesagt, sich unterzuordnen. Gerne. Wir sind ein gutes Team. Wir verteilen in Absprache mit den Helfer:innen die Aufgaben. Die „Versorgungstische“ im Hof, auf denen gespendete Hygieneartikel, Tierbedarf, Windeln usw. aufgestellt sind und der eingerichtete Bereich für das Catering müssen betreut werden. Am Haus 1 haben sich ehrenamtliche Übersetzer:innen eingefunden, die eine Wand mit wichtigen Informationen bestücken. Selbstverständlich in der Herkunftssprache der Geflüchteten. Mitarbeiterinnen vom Rabenhaus e.v. besorgen schriftliche Infos zur Beantragung von Sozialhilfe, selbstverständlich in der Herkunftssprache der Geflüchteten. Später nehmen die Übersetzer:innen die individuellen Wünsche und Bedarfe der Menschen auf und kleben entsprechende Zettel an die Wand. Dabei offenbaren sich hilfreicher Weise ganz dringende Notfälle, wie zum Beispiel eine krebskranke Frau, die schnell ein spezielles Medikament benötigt. Die Wand wird später u.a. die Grundlage zur Erstellung einer offiziellen Bedarfsliste sein.

Inzwischen ist eine Großspende aus Hamburg eingetroffen, alle Bewohner:innen können nun endlich mit Handtüchern versorgt werden. Der Caterer ist heute sehr spendabel und bring zum Mittag schmackhaftes Essen in Hülle und Fülle, es wird bis zum Abend zur Verfügung stehen, bis es dann noch Kartoffelsuppe gibt – wir spekulieren, ob der gestrige Anruf von Steffi Fuchs beim LAF bezüglich der Unterversorgung der Geflüchteten, dieses „Überangebot“ ausgelöst hat. Auch sehr positiv, nachdem Helfer:innen sich bereits kritisch ob des Filmens eines TV- Senders in der Unterkunft für Schutzsuchende geäußert hatten und nun auch Stefanie Fuchs dies energisch kritisiert, werden keine weiteren Filmaufnahmen stattfinden.

Im Laufe des Tages treffen weitere Spenden ein, auch rezeptfreie Medikamente. Bewohner:innen werden versorgt, heute sind auch ausreichend Übersetzer:innen vor Ort und ausreichend Zeit vorhanden, um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Die Leitung nehme ich kaum wahr, manchmal sehe ich sie im hinteren Gartenbereich in der Sonne sitzen und rauchen. Manchmal stellt sie sich Gesprächen. Auch als Carolin Weingart, Stadträtin für Soziales, Arbeit und Teilhabe, eintrifft, und sie um ein Gespräch bittet, ist dazu bereit. Auch Carolin wird bleiben, ihre Spielzeug- spenden an die Kinder bringen, Spenden entgegen nehmen, mit Helfer:innen und Mitarbeiter:innen sprechen, mit anpacken, wo es gerade hilfreich ist.

Die Ehrenamtlichen haben heute geschafft, was der Leitung gestern nicht gelungen ist. Sie haben Bedarfe erfragt, wahrgenommen, ggf. Hilfe geordert, waren gelassene und verlässliche Ansprechpartner:innen und haben auch auf sich und aufeinander achten können.

Skandalöser Umgang mit Eigentum von Geflüchteten

Der Tag hätte den Umständen entsprechend gut enden können. Hätte sich nicht das Gerücht bestätigt, dass sich in den vermeintlichen Müllsäcken im Eingangsbereich, in den angeblichen Hinterlassenschaften der gerade ausgezogenen Bewohner:innen, private Unterlagen und Dokumente befinden. Helfer:innen wollten sichergehen und haben im Laufe des Tages jeden der vielen Säcke geöffnet und konnten so Unterlagen und amtliche Dokumente sicherstellen. Das Gerücht besagt weiter, Mitarbeiter:innen hätten auf Anweisung die Zimmer von nicht anwesenden Bewohner:innen geöffnet und im Zuge des Leerzuges der Unterkunft, alle Zimmer ausgeräumt und das Vorgefundene einfach eigenständig als Müll entsorgt. Stefanie Fuchs und ich haben am Abend die Leitung mit den aussortierten Briefen, Dokumenten, privaten Unterlagen, einem Fahrzeugbrief, einem Laptop usw. konfrontiert, ihr befremdliches Gestammel, so hätte das eigentlich nicht stattfinden sollen, sie verstehen gar nicht, wie die Unterlagen in den Müll kämen, unterbrochen und darauf hingewiesen, dass es nun in ihrer Verantwortung liegt, dass die Dinge ihren Weg zu ihren Besitzer:innen finden.

Zu Hause denke ich an die Nachricht von Alexander Freier (SPD)– Winterwerb, Stadtrat für Jugend und Gesundheit, der mir gestern vorschlug, ihm einen kleinen Bericht zu senden, betreffend Gesundheitszustand der Menschen und ihre besonderen Bedarfe, damit er entsprechende Unterstützung planen und organisieren könne. Ich kann ihm tatsächlich, Dank der engagierten Übersetzer:innen, einen hilfreichen Bericht schicken. Da weiß ich noch nicht, dass er schon am Mittwoch mit einem großen Team aus dem Gesundheitsamt und dem Jugendamt, Sozialarbeiter:innen und einer Ärztin vor Ort sein wird. Da weiß ich noch nicht, dass die krebskranke Frau schnell medizinische Betreuung erhalten wird. Aber das wichtigste weiß ich ganz genau: an diesem Wochenende haben sehr viele Ehrenamtliche Großartiges geleistet, um andere Mensch in Not zu unterstützen. Bleibt zu hoffen, dass das unprofessionelle Verhalten des Betreibers bzw. der Leitung der Unterkunft ernsthafte Konsequenzen nach sich ziehen wird. Ich muss mich nun leider wieder etwas zurückziehen, aber es bleibt dabei, ich fühle mich dieser Unterkunft verbunden und bleibe eine Unterstützerin, vor allem für Menschen die dort Schutz suchen müssen.

 

Wegen der großen Mängel hat die Fraktion DIE LINKE einen dringlichen Antrag in die Bezirksverordnetenversammlung eingebracht, die Mängel in der Unterkunft schnell abzustellen.


Dieser Artikel erschien in gekürzter Fassung in Aus dem Rathaus vom April 2022. Die Zeitungen des Bezirksvorstandes und der Fraktion können hier runtergeladen werden.