Gysi meint ... - Ampel auf Abwegen

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Die Ampel-Koalition hat mit ihrem Alleingang beim Wahlrecht der Demokratie einen Bärendienst erwiesen. Bisher war es Usus, dass das Wahlrecht als eine der Grundlagen unserer Demokratie immer im Konsens möglichst vieler Parteien beschlossen wird - und sei es nur, um sich nicht dem Verdacht auszusetzen, dass man mittels des Wahlgesetzes die Chancen politischer Konkurrenz minimiert. Damit haben SPD, Grüne und FDP gebrochen. So richtig es ist, den Bundestag zu verkleinern, so fragwürdig ist die Abschaffung der Dreidirektmandatsklausel und die Bindung der Direktmandate an das Zweitstimmenergebnis der Parteien bei Beibehaltung der 5-Prozent-Hürde. Danach kämen direkt gewählte Abgeordnete nicht mehr in den Bundestag, wenn ihre Partei unter 5 Prozent der Stimmen bleibt. Hätte dieses Wahlrecht 2021 schon gegolten, wäre Treptow-Köpenick völlig ohne Vertretung im Bundestag. Ihre Erststimmen wären also komplett unwirksam gewesen. Was das noch mit Demokratie zu tun hat, wissen die Ampel-Parteien wohl selbst nicht.

Die Idee der Dreidirektmandatsklausel wiederum ist, dass Parteien, die in einer bestimmten Region stark verankert sind, wie die CSU in Bayern oder die PDS/Die Linke in Ostdeutschland auch dann in den Bundestag einziehen, wenn Sie zwar die Fünf-Prozent-Hürde nicht überwinden, aber mindestens drei Direktmandate erringen. Auch das soll nun nicht mehr zählen.

Beides hat im Übrigen nichts mit der Verringerung der Zahl der Abgeordneten zu tun. Deren Zahl bleibt bei 630, dann aber eventuell ohne CSU oder Linke, dafür mit mehr SPD, Grünen und FDP. Wenn die Ampelkoalition keinen verfassungsrechtlichen Streit riskieren und den Konsens im Parlament über das Wahlrecht wiederherstellen will, muss sie bei Streichung der Dreidirektmandatsklausel die Prozenthürde auf 3 oder 3,5 Prozent senken. Wir werden erleben, ob sich die Mehrheit des Bundestags bewegt oder ob sie vom Bundesverfassungsgericht bewegt werden muss.


Dieser Artikel stammt aus dem blättchen vom April 2023.  Die Zeitungen des Bezirksvorstandes und der Fraktion können hier runtergeladen werden.