Gysi: „Die Menschen müssen sich respektiert fühlen“ Gregor Gysi im Interview
Ein letztes Mal will Gregor Gysi den Bezirk Treptow-Köpenick als Abgeordneter im Bundestag vertreten. Wir sprachen mit ihm über die „Mission Silberlocke“, warum Unioner nicht jeden Irrtum mitmachen sollten, und seine Ziele für die nächsten Jahre.
Seit 2005 bist Du der direkt gewählte Abgeordnete für den Wahlkreis Treptow-Köpenick. Was bedeutet Dir der Bezirk?
Ich bin in Johannisthal aufgewachsen. Vom Kindergarten bis zur Erweiterten Oberschule Heinrich Hertz in Adlershof habe ich hier meine Bildung erhalten. Schon damals waren Treptow und Köpenick die schönsten Bezirke. Der Müggelsee, die Flüsse, der Plänterwald und der Treptower Park, das Rathaus und das Schloss in Köpenick. Der heutige Bezirk Treptow-Köpenick wird nun auch von Touristinnen und Touristen immer mehr angenommen. Einzig, viele Abgeordnete im Bundestag kennen nur das Berliner Zentrum. Daher habe ich schon einmal viele eingeladen und ihnen einiges gezeigt. Das würde ich gerne noch einmal machen.
Was siehst Du im Moment als das größte Problem im Bezirk?
Die Mieten! Die Angst, dass man die Wohnung nicht mehr bezahlen kann. Da muss dringend etwas geschehen. Das ist natürlich nicht nur in unserem Bezirk so, sondern in ganz Berlin und darüber hinaus. Denn zu den Mieten kommen ja noch die übrigen Preisexplosionen, auch bei Lebensmitteln und Energie. Die Kaufkraft der Menschen geht insgesamt zurück. Zum Glück haben wir einige Genossenschaften in Treptow-Köpenick, die sich darum bemühen, die Miethöhen angemessen zu halten, und dabei muss man ihnen helfen.
Die Linke fordert einen Mietendeckel. Was denkst Du darüber?
Wir wollen für sechs Jahre keine Mietsteigerungen. Für die Menschen muss das Leben wieder planbar sein. Gerade für diejenigen, bei denen das Geld ohnehin sehr knapp ist. Deshalb finde ich diese Forderung sehr gut. Und wenn sich nun jemand Sorgen macht um die Vermieter, dem sage ich: Wir wollen ja nicht die Mieten kürzen. Sondern wir sagen nur: die Mieten sollen ersteinmal so bleiben.
In der letzten Zeit sind viele junge Leute in die Linke eingetreten. Da wundern sich vielleicht manche, warum der Gregor Gysi nun die Mission Silberlocke gestartet hat, um mit anderen älteren Genossen Direktmandate zu gewinnen.
Dass viele junge Leute in unsere Partei eintreten, spricht dafür, dass Die Linke eine Zukunft hat. Die Jungen machen auch viel mit mir bei Tiktok und allem Drum und Dran. Was ich witzig finde! Dazu hat mich übrigens eine Zeitung gefragt: „Was halten Sie davon, dass Sie von jungen Leuten im Netz als ‚süße Maus‘ gefeiert werden? Ist das charmant oder doch eher befremdlich?“ Und da habe ich gesagt: Es ist beides. Charmant, aber auch ein bisschen befremdlich.
Welchen Rat würdest Du den jungen Leuten heute geben?
Für die Jugend ist ökologische Nachhaltigkeit sehr wichtig. Bis zu meinem eigenen Tod werde ich den Klimawandel noch aushalten. Aber die jungen Leute haben noch viele Jahrzehnte Leben vor sich. Denen sage ich: Ihr könnt und sollt protestieren. Ihr müsst nur Wege finden, wie man eine Mehrheit der Gesellschaft mitnimmt und dürft die soziale Verantwortung dabei nie vergessen.
Du möchtest auch mehr ältere Menschen für Die Linke begeistern?
Ja, von den älteren Menschen erreichen wir in den letzten Jahren viel zu wenige. Auch deshalb brauchen wir die Mission Silberlocke. Die Linke vergisst nicht die älteren Menschen, das ist das Signal. Weil wir gerade vom Internet geredet haben: Viele Ältere wollen nicht alles am Computer machen müssen. Für sie muss es auch einen anderen Weg geben. Deshalb fordere ich ein Recht auf ein analoges Leben.
Du bist Fan von Union Berlin. Oliver Ruhnert, früherer Profifußball-Geschäftsführer von Union, tritt für das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) an. Was sagst du den Unionerinnen und Unionern, warum sie trotzdem Gregor Gysi wählen sollten?
Wenn er etwas älter ist, wird Oliver Ruhnert wieder zu uns zurückfinden. Jeder hat ja das Recht, sich auch einmal zu irren. Und die Union-Anhänger und -anhängerinnen müssen gar nicht erst den Irrtum eines Funktionärs mitmachen, sondern können gleich uns wählen. Schon allein deshalb, weil das BSW sehr elitär ist. Da kannst du nicht einfach eintreten wie bei Union oder bei uns Linken. Da funkt im Zweifel ein Ehepaar aus dem Saarland dazwischen, wenn ihnen eine Entscheidung vor Ort nicht passt. Diese Art der Machtausübung verstört viele. Ich glaube, das fängt schon wieder an zu bröckeln.
Bei den letzten Europawahlen war die AfD die stärkste Partei im Bezirk. Was können wir gegen die Rechtsradikalen tun?
Dagegen müssen alle demokratischen Kräfte einstehen. Einige müssen aufhören, die Sprüche der Rechtsradikalen zu kopieren. Damit legitimieren sie diese nur. Dann müssen alle darüber nachdenken, was sie und wir falsch gemacht haben. Zum Beispiel bei der Einheit: Warum mussten die Ostdeutschen so gedemütigt werden? Es wurde immer gesagt, dass durch die geringeren Löhne massenhaft Investitionen kämmen. Aber die Investitionen sind weitgehend ausgeblieben. Nur die Löhne sind niedriger als im Westen geblieben. Das hat Konsequenzen. Da wir die Rechtsentwicklung in vielen Ländern erleben, muss es auch internationale Konsequenzen geben.
Gerade in den jungen und mittleren Altersstufen wählen viele die Rechtsradikalen.
Deshalb müssen wir anders zu Demokratie und Freiheit schon in Schulen erziehen. Am besten in Gemeinschaftsschulen, die anerkennen, dass manche Kinder früher einen Sprung machen, andere später. Außerdem müssen die Fachberufe wieder mehr anerkannt werden. Es gibt viele gute Bäckerinnen und Elektriker und andere Handwerkerinnen und Handwerker. Die Menschen müssen anerkannt und respektiert werden.
Du trittst für eine letzte Runde im Bundestag an. Welche sind die wichtigsten Ziele für die nächsten Jahre?
Es muss einen Waffenstillstand zwischen Russland und der Ukraine geben, gefolgt von Friedensverhandlungen. Genauso ein Waffenstillstand im Nahen Osten und mehr Druck auf Israel für eine Zwei-Staaten-Lösung. Dazu gehört auch, dass Terrororganisationen wie Hamas und Hisbollah überwunden werden.
Schließlich stehe ich dafür, dass die öffentliche Daseinsvorsorge nicht in die Marktwirtschaft gehört. Ein Krankenhaus muss sich nicht in erster Linie rechnen, sondern für Gesundheit sorgen. So ähnlich gilt das für das Wohnen, die Bildung, die Mobilität und Kommunikation, die Kunst und Kultur. Und dann mein letzter Wunsch: Chancengleichheit für alle Kinder und Jugendlichen beim Zugang zu Bildung, Kunst, Kultur und Sport.
Dieser Artikel stammt aus dem blättchen vom Januar 2025.
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